Wenn Wörter die Hosen anhaben – muss Gendern sein?
„Gendern“ – das bezeichnet salopp die vielen Möglichkeiten, einen Text geschlechtergerecht zu formulieren. Diese Praxis ist mittlerweile schon Jahrzehnte alt, bietet aber nach wie vor Anlass zu Diskussionen. Oft heißt es, Gendern sei ein politisches Statement und deswegen besser zu unterlassen. Ist es das? Und dürfe man nicht ohnehin so schreiben, wie man will?
Eines steht fest: Gendern war ein politisches Statement. Die Idee der geschlechtergerechten Sprache kam in feministischen Diskursen in den 1970er und 1980er Jahren aufs Tapet. Gendern, wie wir es heute kennen, verbreitete sich von dort ausgehend, zuerst in akademischen Kreisen, dann in den Medien. Natürlich war es zu dieser Zeit ein politisches Statement. Mittlerweile sind jedoch Jahrzehnte vergangen.
Bei der Frage, ob Gendern politisch ist, geht es letztendlich auch um die Perspektive, aus der man sie stellt: Fragt hier eine Person, die schreibt, oder eine Person, die liest? Es gibt natürlich Texte, die schreibt man für sich selbst, wie etwa ein Tagebuch. Ob man im Tagebuch gendert, ist relativ irrelevant. Aber wer professionell schreibt, tut das nicht für sich selbst, sondern für andere. Damit sind jetzt nicht die Auftraggeber gemeint, sondern jene Menschen, die die Texte lesen oder zumindest lesen sollen. Die Frage ist also: Wie empfindet ein Mensch im Jahr 2020 einen gegenderten Text?
Man könnte auch anders fragen: Wie empfindet ein Mensch, der im Jahr 2020 durch die Straßen von Paris geht, eine Frau in Hosen? Vermutlich würde niemand auch nur einen Gedanken daran verschwenden, denn Frauen tragen nun einmal Hosen, wenn sie das wollen. Das war nicht immer so. Das Tragen van „Pantalons“ war in Zeiten der Französischen Revolution ein feministischer Affront. Das Hosenverbot wurde übrigens erst 2013 aus der französischen Verfassung gestrichen.
Auch wenn die Französische Revolution etwas länger her ist als die „Erfindung“ des Genderns, liegt heute doch eine gewisse Zeitspanne dazwischen. Das Empfinden der Menschen hat sich geändert. Ein Text, der heute von „Schülerinnen und Schülern“ spricht, wird nicht mehr als politischer Feminismus empfunden. Die Formulierung gilt als üblich, so wie Frauen in Hosen. Man könnte sogar so weit gehen und sagen, dass sich die Verhältnisse ins Gegenteil verkehrt haben: Das standhafte Gender-Verweigern kann als politisch empfunden werden. Das kann für bestimmte Texte durchaus gewünscht und passend sein, in fast allen Fällen ist es das aber nicht. Auch dessen sollten sich Schreib-Profis – und jene, die sie beauftragen – bewusst sein.
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