Bin ich ein – Chatbot? Gedankenstrich-Gedanken
Es ist kaum zu glauben, aber ein Satzzeichen mausert sich aktuell gerade zum Star der Online-Diskussion: der Gedankenstrich. Viele meinen, in seiner ausufernden Verwendung ein Indiz für einen KI-generierten Text zu entdecken. Angeblich verwenden ChatGPT und Co. sehr oft sehr viele Gedankenstriche. Ich kann das ehrlich gesagt gar nicht wirklich überprüfen, weil … weil … weil ich gewisse Texte gar nicht erst von den digitalen Buddies schreiben lasse.[1]
Aber egal ob KI/LLM oder nicht, was leisten Gedankenstriche eigentlich genau? Wenn man ein wenig in Interpunktionstheorien eintaucht – auch ziemlich KI: „Tauch ein in die wundervolle Welt der Interpunktionstheorien!“ –, dann erfährt man dort einiges über ein Zeichensystem, das man eigentlich nicht für derart komplex gehalten hätte.
Der Gedankenstrich ist ein „historischer Spätzünder“ (Brendel, 2011, S. 43), er taucht erst im 18. Jahrhundert in einer einigermaßen standardisierten Form auf. Er wird in unterschiedlichen Erscheinungsformen verwendet, wobei seine Funktion zumeist ähnlich ist. Der Text bricht plötzlich ab, man muss sich in der Lektüre neu orientieren und dann geht’s wieder los. Also eigentlich ziemlich praktisch, um Aufmerksamkeit zu erzeugen oder zu bewahren. Das macht den Gedankenstrich auch zu einem wirkungsvollen Stilmittel, das heißt, sein Einsatz ist eine bewusste Entscheidung. Beim Komma ist das anders: Wenn es fehlt oder zu häufig gesetzt wird, dann steckt dahinter was anderes … jedenfalls sicher keine bewusste Entscheidung.
Stilbewussstein
Wer Gedankenstriche also bewusst verwendet, outet sich zunächst einmal als jemand, der sich Stilbewusstsein erarbeitet hat. Dass man damit auf derselben Ebene wie ein Chatbot stehen soll oder sich gar vorwerfen lassen muss, einen verwendet zu haben, ist natürlich ein ganz perfider Gedanke. Schließlich haben die Kollegen Chatty, Claude, Gemini etc. das von uns Sprach-, Text- und Stilprofis gelernt (nicht umgekehrt!), und zwar aus einem ganz bestimmten Grund, nämlich um mittels Strukturierung, Gliederung und geeigneten Stilmitteln sicherzustellen, dass Texte wirklich gelesen und richtig verstanden werden.
Ich habe Gedankenstriche immer als sehr wirkmächtig empfunden und ich setze sie auch gerne ein. (Das brachte mir unlängst eine leise Kritik eines Kunden ein … AI Alert?) Aber es geht nicht nur um den Gedankenstrich allein: Ich halte die richtige Verwendung von Satzzeichen generell für ein ziemlich gutes Mittel, um Texte zu strukturieren. Wer sich darüber im Klaren ist, welche Wirkung man mit welchem Zeichen erzielen kann, der kann Texten eine persönliche Note geben, einen Touch, ein besonderes Merkmal, das ihn, den Text, auszeichnet.
Fun Facts
Beenden wir diese Satz-Zeichen-Gedanken noch mit ein paar Fun Facts zur Interpunktion:
Lustig ist zum Beispiel, dass der Punkt sowohl in die Vertikale gehen kann – als Doppelpunkt : – als auch in die Horizontale … Letzteres kann das Komma nicht. Es beansprucht den Raum, in dem es steht, exklusiv für sich und duldet kein zweites neben sich. Wo kommen wir denn schließlich hin,,, wenn da plötzlich mehrere Kommas stehen würden????!!! (Ist offensichtlich beim Fragezeichen und Rufzeichen etwas anders, die können sich vermehren.)
Ebenfalls lustig finde ich, dass die digitale Kommunikation uns wieder etwas zurückbringt, was wir eigentlich schon seit Jahrhunderten nicht mehr machen: Im beginnenden Zeitalter der Schriftlichkeit hat man sehr oft alles zusammengeschrieben – auf gut Österreichisch: in aaana Wuascht! – und das auch noch in Großbuchstaben.
JEDERDERVERSUCHTSOEINENTEXTZULESENMERKTGANZSCHNELLDASSDASNICHTSOTOLLIST.
Man nennt das „scriptio continua“ und das gab es bis ca. 500 n. Chr. Danach hat sich die „scriptio discontinua“ entwickelt, mit mehr als positiven Auswirkungen. Denn die Einführung von „Leerzeichen“ war eine Revolution in der Leseentwicklung. Das Lustige ist nun, dass die Zusammenschreibung in einer ganz spezifischen Form auf Social Media wieder zurückgekommen ist. Ich sag nur:
#werrechtschreibfehlerfindetdarfsiebehalten
Noch was zum Abschluss: Ich habe einem Large Language Model – in diesem Fall Claude – folgende Frage gestellt: „Warum wird behauptet, dass die Verwendung von Gedankenstrichen auf den Einsatz eines LLM hindeutet?“ Die Antwort hat mich zum Schmunzeln gebracht:
„LLMs tendieren dazu, Gedankenstriche relativ häufig zu verwenden – oft häufiger als durchschnittliche menschliche Schreiber in informellen Texten.“ (Anthropic, Claude Sonnet 4, 28.7.2025)
Literatur:
Brendel, U. (2011). Interpunktion. Winter.
[1] Diesen hier auch nicht! Nur zur Klarstellung: Ich verwende natürlich ChatGPT und Co. – ich habe GPT sogar schon verwendet, als noch kein „Chat“ davorgestanden ist – und ich versuche auch, bei der gesamten Entwicklung irgendwie dranzubleiben, was immer schwieriger wird.
Stefan Schwar, 30.7.2025